Seltene Erkrankungen – Herausforderungen bleiben bestehen
Zum heutigen "Tag der seltenen Erkrankungen" melden sich diverse Verbände, Patientenorganisationen, Initiativen sowie einzelne Akteure zu Wort, um die kurze Aufmerksamkeit für zentrale Botschaften zu nutzen.
Bei rund 8.000 Erkrankungen spricht man davon, dass sie "selten" sind. Die Definition hierfür ist jedoch nicht einheitlich. In Europa, beziehungsweise in den Regionen, die von der Europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMA reguliert werden, werden als "selten = orphan" bezeichnet, wenn höchsten 5 von 10.000 Menschen an dieser Krankheit leiden. Die US-amerikanische FDA hat als Bezugsgröße die Gesamtbevölkerung (ca. 330 Millionen Einwohhner) der USA gewählt und definiert eine seltene Erkrankung, wenn weniger als 200.000 Personen "innerhalb der USA" darunter leiden.
Verschiedene Organisationen gehen davon aus, dass in Deutschland zwischen 3 und 4 Millionen Menschen an solchen seltenen Erkrankungen leiden. Verbände wie der BPI, der vfa oder auch die BIO Deutschland betonen dabei regelmäßig, dass ein Großteil der heute zugelassenen Medikamente für solche Krankheiten keine hohen Kosten für das Gesundheitssystem verursachen würden. Nach Angaben des vfa etwa würden rund 70% der "Orphan-Medikamente" nur rund 10 Mio. Euro Kosten mit sich bringen. Dass einige einzelne Therapeutika jedoch sehr hohe Kosten verursachen, macht eine andere Zahl der gleichen Untersuchung deutlich: Demnach würden alle Medikamente des Bereiches "seltene Erkrankungen" zusammen rund 4% der Gesamtausgaben für Arzneimittel der gesetzlichen Krankenkassen ausmachen (Zahlen von 2018, laut vfa). Diese Arznei-Gesamtausgaben der GKV im Jahr 2018 betrugen rund 38,7 Mrd. Euro, das heißt der Orphan-Disease-Bereich schlägt hierbei mit mehr als 1,5 Mrd. Euro zu Buche.
Schwierigkeiten bei klinischen Studien und der "Nutzenbewertung"
Orphan Drugs sind definitionsgemäß für deutlich kleinere Patientengruppen gedacht, womit die Durchführung der erforderlichen Studien sich entsprechend schwieriger gestaltet, denn es fehlen in der Regel vergleichbare Therapien. Wenn es um die Erstattung geht, fordert das System der Nutzenbewertung jedoch regelmäßig eine "Vergleichbarkeit" ein. Hier wünscht sich der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Dr. Kai Joachimsen, ein Anpassung der Verfahren: „Ungeachtet der besonderen Therapiesituation seltener Erkrankungen hat das für die Prüfung des Zusatznutzens zuständige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bis heute keine angepasste Bewertungssystematik entwickelt.“ Es gäbe sogar irreführende Beurteilungen, die im Kern der Aussage nur verdeutlichen, dass mit den jetzigen Kriterien keinerlei Aussage getroffen werden könne. „Kommen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) oder das IQWiG zu dem Ergebnis, dass ein Zusatznutzen für ein Orphan Drug ’nicht quantifizierbar‘ ist, heißt das lediglich: Es lässt sich aufgrund der Seltenheit der Erkrankung und der daraus resultierenden wissenschaftlichen Datenbasis (noch) nicht abschätzen, wie groß der Zusatznutzen ist", so Joachimsen.
Es sei ein Erfolg der europäischen Förderung und ein großer Segen für die betroffenen Patienten, dass für viele seltene Erkrankungen bereits Orphan Drugs zur Verfügung stehen, doch da es noch Tausende von seltenen Erkrankungen gebe, für die bislang keine Therapien existieren, wären Diskussionen über die Abschaffung von Anreizen zur Entwicklung und Vermarktung von Orphan Drugs äußerst kontraproduktiv, lässt der BPI am heutigen Tag verlautbaren.
Um den gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen seltene Erkrankungen voranzubringen, gründete sich 2010 das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE). An ihm sind unter anderen das Bundesministerium für Gesundheit (BMFG), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMFB), ACHSE e.v. (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen) und 25 Bündnispartner beteiligt.
Hintergründe:
https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/seltene-erkrankungen/was-sind-seltene-erkrankungen
https://www.bpi.de/de/nachrichten/detail/daten-zur-debatte-orphan-drugs